Sonntag, 10. August 2008

Die schnelle Nummer


„So, wer bekommt die 38?“ Wir schauen uns ratlos an. „Ich hatte ‚Vitello Tonato‘ bestellt“, erkläre ich der hübschen, aber etwas inkompetenten Serviererin. „Das hier ist auf jeden Fall mit Fleisch“, erkennt sie immerhin fachkundig.

Unser Glück, dass jetzt der Kellner mit den anderen Vorspeisen kommt. „Für die Dame die zwölf, für den Herrn die 27, dann einmal die 29 für Sie!“ Korrekt platziert er unsere Teller, und auch die süße Serviermaus weiß nun, wo sie ihre „38“ abstellen muss. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich fände es schöner, wenn das Gericht nicht einfach als Nummer auf den Tisch kommt. Mag ja sein, dass die Reduzierung eines „Carpaccio“ auf die Nummer „38“ für Kellner, Küchenhilfen und sogar den Koch eine Vereinfachung darstellt. Aber warum muss man mit einer internen Vereinfachung den Gästen das Leben schwer machen?

Mitunter wissen die Kellner gar nicht, welche Gerichte auf der Speisekarte stehen. Da bestellt man arglos „Hähnchenbrustfilets an einer Oliven-Kapern-Sauce“ und der Kellner versteht kein Wort: „Welche Nummer bitte?“ Etwas kundenfreundlicher wäre es, wenn nicht alle Gäste, sondern nur die Kellner Nummern und Gerichte auswendig lernen würden.

So aber ist die Verwirrung oft beiderseitig. Denn die eingangs erwähnte Serviererin quält sich gerade mit den Hauptgerichten ab: „Bitte sehr, einmal die 77!“ Vier Augenpaare mustern das Gericht auf dem Teller, aber so richtig eindeutig ist nicht zu erkennen, ob es sich um „Saltim Bocca à la Romana“ oder um den „Toscana-Teller“ handelt. Die hübsche Kleine weiß auch nicht, welches der Gerichte sich hinter der geheimnisvollen Zahl „77“ verbirgt: „Ich frag mal in der Küche!“

An diesem Tag beschloss ich nun doch, endlich alle Nummern auswendig zu lernen. Nach zwei Wochen hatte ich die Speisekarte so weit gelernt, dass ich zumindest die wichtigsten Gerichte beim Italiener kannte.

Mit meinem neu erworbenen Wissen bestellte ich einige Tage später nonchalant bei unserem Lieblings-Griechen die „1“, die „49“ und als Dessert die „133“.

Das war keine gute Idee. Denn statt der Tricolore aus „Tomatensalat mit Mozzarella und Basilikum“ erhielt ich („Bitte sehr, einmal die 1!“) einen Napf voll Tzaziki. Ich hatte vergessen, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es zwischen der Nummerierung beim Italiener und der beim Griechen gewisse Unterschiede geben könnte. Doch einige Tage später, auf Geschäftsreise, war ich schlauer. Ich ließ das spanische Restaurant links liegen, ebenso das etwas rustikalere Gasthaus nebenan, und marschierte direkt zum örtlichen Italiener.

Welch eine Enttäuschung! Nicht einmal die Italiener untereinander haben ihr Nummernsystem abgestimmt. „Che scàndalo!“

Aber einen informativen Dialog habe ich noch mitbekommen. Ein Gast wollte wissen: „Welcher Wein passt denn zu der 63?“ Der Kellner musste gar nicht lange überlegen: „Da nehmen Sie am besten den 348, der harmoniert hervorragend mit der 63!“ Der Gast überlegte ein Moment, dann sagte er: „Mmh, ja! Das klingt gut. Den nehme ich!“

Wieder was gelernt! In diesem Sinne: „Salute! Auf die schnelle Nummer!“